Zurück

 

 100 Meilen Trail-Lauf Landwehrhagen 29./30. Mai 2004

 

Vorher1.jpg (421469 Byte)

Am Tag vorher gemütlich zusammen

Michael 15KM.jpg (477387 Byte)

Michael Haasche KM 15

Michael KM 42.jpg (659160 Byte)

Ist ein Trail-Lauf

50 KM AidStation.jpg (477260 Byte)

Basislager hier nach 50 KM

Hansi Weserstein KM 75-2.jpg (325963 Byte)

Hansi nach 75 KM an der Wesermündung

3 Sieger-2.jpg (187769 Byte)

3 Sieger im Ziel. Von links: Franz Häusler, Hansi Köhler, Markus Müller

 

Hinweis: Der Bericht wurde emotionsgeladen am Tag nach dem Lauf geschrieben. Kommt vor... ;-)

 

 

Judgement Day - Der Tag der Abrechnung
04.Mai 2002 Landwehrhagen bei Kassel. Die selbstgestellte Aufgabe heißt 100 Meilen Geländelaufen mit 4600 Höhenmetern. Zwar bin ich nicht ganz unerfahren mit langen Distanzen, jedoch kann ich keinesfalls auf Routine zurückgreifen.
Seit dem Vorabend regnet es pausenlos in unerhörten Mengen. Die Strecke ist zwangsläufig in erbärmlichen Zustand. Die Umstände drücken aufs Gemüt. Die Erfahrung mit Herausforderungen in dieser Dimension fehlen. Es fehlt die Stärke für eine Antwort nach dem "Warum", welche der Schweinehund immer eindringlicher stellt.
Nach 100 gelaufenen KM verlasse ich 61 Km vor dem Ziel die Basisstation nicht mehr und werfe das Handtuch...
Einige andere Teilnehmer laufen jedoch bei gleichen Bedingungen weiter und erreichen das Ziel. Es war also möglich. Wenn andere diese Aufgabe bewältigen konnten, warum ich nicht ?
Eine solche Erfahrung sticht tief.
 
29.Mai 2004 Landwehrhagen bei Kassel. Die selbstgestellte Aufgabe heißt wieder 100 Meilen Geländelaufen mit 4600 Höhenmetern.
Seit über einem halben Jahr denke ich im Sport an nichts anderes mehr und trainiere nur noch auf dieses Ziel. Der tägliche 9-18 Uhr Job und die Familie erfordern ein Training morgens etwa um 5:30 Uhr vor der Arbeit. Am Anfang die Hölle, aber man gewöhnt sich dran, vor allem wenn man ein Ziel vor Augen hat. Mit Trainingspartner geht´s dann auch einfacher. Wenn im Januar morgens um 05.00 Uhr der Wecker klingelt und der Schneeregen durch eiskalten Wind gepreßt waagerecht gegen das Fenster prasselt und ein leckerer 15 KM Tempodauerlauf auf dem Programm steht, steht man nur deshalb auf, weil man weiß der Trainingspartner steht vor der Tür.
Diesmal plane ich, meine mentale Kraft in den Aufgabepunkt des letzten Versuches vor 2 Jahren zu stecken. Es muß mir gelingen, die Basisstation bei KM 100 wieder zu verlassen, dann komme ich irgendwie an.
 
Vom Start weg bildet sich eine Führungsgruppe von 4 Läufern. Da wäre z.B. Markus Müller aus Nürnberg, Finisher vom "Race across the fire", dem 4300 KM langen Etappenlauf quer durch Australien 2001. Er siegte bei diesem 100 Meilenlauf bereits 2 mal.
Außerdem Franz Häusler, Finisher des 5000 KM langen Etappenlaufes quer durch Europa 2003.
Als Anfänger auf Distanzen die durch die Nacht gehen, aus Hildesheim Michael Haasche und ich. Die ersten 50 Km mitten durch den Kaufunger Wald verlaufen durch eine herrliche Landschaft auf Forstwegen und Single Trails. Zum Zeckeneinsammeln ging´s auch nicht selten auf dichtbewachsenen Schneisen. Ich sammelte 4 davon ein.
Gemessen an der Schwere der Strecke legten wir diese erste 50 KM Runde in recht flotten 5:36 Stunden zurück. Auf den ersten Blick erscheint ein rechnerischer Schnitt von 6:43 min pro KM alles andere als schnell, jedoch ist ein Trail-Lauf etwas völlig anderes als ein Stadtmarathon und nach 50 KM liegen nun mal noch schlappe 111 Km vor uns die einzukalkulieren sind.
 
Die zweite 50 KM-Runde führt uns landschaftlich noch reizvoller nach Hannoversch Münden zur Wesermündung und auf dem gleichen Weg zurück. Hier bekam ich vor 2 Jahren die tiefe Krise. Nach etwa 80 KM bemerkte ich, daß ich meinem Mitläufer von damals nicht mehr folgen konnte. Nach 85 Km kam der erste Gedanke Richtung einer Aufgabe. Nach 90 KM die Entscheidung. Anschließend war klar, daß die Runde nur noch zu Ende gelaufen und ich mein Rennen abbrechen würde.
Gespannt ließ ich diesen Streckenabschnitt auf mich zukommen.
Unsere 4-er Gruppe hatte sich mittlerweile zweigeteilt. Die beiden Anfänger dieser Dimensionen Michael aus Hildesheim und ich hatten einen Vorsprung von etwa 10 min auf die beiden erfahrenen Kontinentaldurchquerer Markus und Franz. Bedenklich. Waren wir zu schnell und damit nicht in der Lage, uns dieses Rennen vernünftig einzuteilen ?
Auf dieser Wendepunkt-Runde kam uns etwa 7 Km hinter uns der Veranstalter und hocherfahrene 100 Meilenläufer Hans Dieter Weisshaar entgegen. Er mahnte uns zur Zurückhaltung. "Hansi, ich habe gewettet, daß Du bei soviel Leichtsinn ab 80 Km nur noch gehst und ich Dich einholen werde." Sowas aus erfahrenem Munde verunsichert. Er wollte mich damit nicht verärgern sondern gutwillig warnen.
Jedoch fühlte ich mich den Umständen entsprechend spitzenklasse. Momentan noch kein Gedanke an Schwäche, geschweige denn Aufgabe. Zu diesem Zeitpunkt bei Streckenhälfte dachte ich jedoch nicht an die Gesamtdistanz von 161 KM, sondern in erster Linie daran, bei 100 Km weiter zu laufen.
 
Bei einer solch langen Distanz ist es sehr angenehm, diese nicht allein zu bewältigen. Viel Wert ist ein sympathischer Mitläufer, mit man sich etwas zu sagen hat, der aber auch einen ähnlichen Rythmus läuft wie man selbst. Diesen hatte ich zum Glück in Michael gefunden. Bei einem Lauf, der so lang ist, daß man durch mindestens eine Nacht muß ist man jedoch froh, auch mal Momente der Ruhe zu haben. Bei Michael rollte es jetzt bei etwa 85 Km etwas runder als bei mir und er lief bis zu 100m vor. Das war für den Moment sehr angenehm, denn so konnte ich meinen Gedanken nachhängen und mich bereit machen für KM 100. Je näher wir uns dieser Marke näherten, je mehr war mir klar, daß ich in diesem Jahr um Längen besser vorbereitet bin, mental wie körperlich und sich die Frage nach Aufgabe garnicht stellte. Mittlerweile wieder zu zweit vereint kamen wir zwar etwas angeknockt nach einer harten Steigung bei Km 100 im Basislager an, aber es ging nur darum, uns hinsichtlich Ausrüstung für die Nacht vorzubereiten und weiterzulaufen.
Bei diesen Distanzen möchte ich nicht lange Pause machen, ich werde sonst steif. Schnell war ich umgezogen und mit Stirnlampe ausgerüstet und lief schon mal los. Es ging mir wesentlich besser als zum Zeitpunkt der Ankunft in der Station. Ich lief ein verhältnismäßig hohes Tempo. Markus Müller hatte gegen Ende der Runde stark aufgeholt und noch schneller gewechselt, so daß er jetzt vor mir lief. Nach der nächsten Verpflegungsstation waren wir jedoch vereint und diese Gemeinschaft hielt bis ins Ziel.
Von hinten drückte Franz arg aufs Tempo. Er wollte uns unbedingt einholen. Vor uns lag ein kniffliger Abschnitt im Wald, der hinsichtlich Orientierung nicht leicht zu laufen ist. Vor 2 Jahren im Regen und in der Dunkelheit hat sich Franz hier vollkommen verlaufen und das Rennen entnervt beendet. Zu dritt orientiert es sich leichter und er wollte mit uns zusammen durch. Aber scheinbar war der Abstand zu groß. Markus und ich passierten diesen Waldabschnitt nach etwa 110 KM noch in der Abenddämmerung um etwa 21.30 Uhr, bevor die Strecke uns am Fuldaufer flach in der Dunkelheit nach Kassel führte.
Hier nahm mein Drama seinen Lauf. Beim Laufen in hügeligem Gelände wird die Muskulatur offenbar unterschiedlich belastet und deshalb der einzelne Muskel nicht so sehr ermüdet. Läuft man flach und belastet die Muskulatur immer gleich, fühlt man sich schlechter. Schon nach wenigen Flach-KM war ich platt. Markus und ich legten auf mein Drängen des öfteren Gehpassagen ein und bei einer Aid-Station bei KM 118 setzte ich mich erstmalig für 3 min hin.
 
Nun war es auch völlig dunkel. Die Orientierung an der Fulda zum Glück einfach. Nach der bekannten 5 KM langen Steigung waren wir nach 138 KM wieder an der Basisstation. Franz und Michael hatten stark aufgeholt und kamen kurz nach uns ins Lager. Michael ließ sich folgenschwer etwas länger Zeit. Franz, Markus und ich nahmen die letzten 23 Km durch stockdunklen Wald in Angriff, während Michael allein hinterherkam.
Zu diesem Zeitpunkt hatte jeder mit sich selbst zu tun. Gespräche fanden kaum noch statt. Ich hatte die hellste Lampe von uns und lief auf zum Teil schmalen Pfaden im Wald voran, soweit es denn ging. Die anderen folgten stumm.
Mittlerweile nach 02.00 Uhr Nachts und über 140 gelaufenen KM machte sich bei mir bleierne Müdigkeit breit. Wenn ich mich erschöpft fühle, pflege ich meinen Körper abzuchecken nach Gründen, warum ich jetzt nicht schneller laufen kann. Konkrete Schmerzen hatte ich kaum. Die Muskeln warn natürlich stocksteif und schmerzten etwas. War jedoch erträglich. Blasen hatte ich zwar wenige, die spürte ich aber nicht. Was mich lähmte war die übermannende Müdigkeit. Würde ich stolpern und hinfallen, wäre ich am Boden liegend innerhalb von 30 Sekunden eingeschlafen sein.
Mich hielt jedoch folgender Trost aufrecht: Meine beiden Mitläufer waren gewaltig erfahrene Kontinentaldurchquerer. Meine jetzigen Probleme haben den Stellenwert eines Kaninchenfurzes gegen die Probleme, die diese beiden auf ihren Wegen durch Australien und Europa bewältigt haben. Also weiter.
 
Der Reiz dieses Laufes wurde durch kleine Bewegebenheiten am Rande gewürzt: wenn wir mit unseren Lampen nicht auf den Weg, sondern in den stockdunklen Wald leuchteten, leuchteten uns oft diverse Augenpaare entgegen. Interessant: die Augenpaare hatten in ihrer Breite verschiedene Abstände. Vom Eichhörnchen bis zum Säbelzahntiger war bestimmt alles dabei.
Immer wieder nett auch, wenn man sich trotz guter Beschilderung verläuft. Etwa 8 Km vor dem Ziel stellten wir diesen Umstand für uns fest. Also zurück zur letzten Beschilderung, neu orientieren und weiter.
Kurz danach kam uns eine Stirnlampe entgegen. Darunter trottet ein verzweifelter Michael. Er hatte sich allein im Wald völlig verlaufen und war nun zwar richtig, aber weit hinter uns. Wir empfunden echtes Mitgefühl. Bis jetzt lief er sehr stark. Bei allem Konkurrenzdenken, dieses Mißgeschick gönnte ihm niemand von uns.
 
Als wir in der Morgendämmerung etwa 3 KM vor dem Ziel aus dem Wald liefen, überkam mich ein Schauer. Es wurde mit bewußt, daß ich es hier schaffe mit zwei legendären Ultraläufern zu finishen. Wer Kontinente erfolgreich zu Fuß durchquert, hat nach meiner Wertschätzung Legenden-Status.
Was für ein kleines Wuschelchen ich doch dagegen bin. Und trotzdem kommen wir als 3 gemeinsame Sieger weit unter dem alten Streckenrekord zusammen ins Ziel.
Wer einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang gemeinsam läuft und an den Emotionen des anderen Teil hat, liefert sich zum Schluß keine Scharmützel mehr. In der Ultra-Szene geht es anders zu.
Der Zieleinlauf nach 21:09 Stunden erstaunlich emotionslos. Ich fühlte fast nichts. Erst jetzt nach einem Tag wird klar, daß ich mit diesem 100 Meilen-Trail-Lauf die schwerste sportliche Aufgabe meiner 20-jährigen Laufbahn bewältigt habe. Die vergangenen 24-Stundenläufe und IRONMAN-Triathlons mit einbezogen. Die selbstgestellte Prüfung war bestanden. Die zum Teil harten Trainingskilometer bei Schneeregen morgens um 5:30 Uhr haben sich mit Zinsen ausgezahlt.
 
Jetzt kann etwas Neues beginnen.

Ergebnisse hier